Die Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz konnten im Dezember vergangenen Jahres ein Fragment aus der Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg (975/976-1018) mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder, des Landes Sachsen-Anhalt und privater Spender ersteigern.
„Mit dem Erwerb des Fragments ist für die Merseburger Domstiftsbibliothek ein ganz wichtiges Textzeugnis der europäischen Geschichte der Ottonenzeit für die Forschung dauerhaft gesichert“, sagt der Leiter der Domstiftsbibliothek, Markus Cottin.
Markus Cottin hat die Ersteigerung des Fragments für die Vereinigten Domstifter vorangetrieben: „Bei der großen Ausstellung zu Thietmar von Merseburg im Jahre 2018 konnte lediglich ein mittelalterliches Textzeugnis der Chronik nicht gezeigt werden: das Fragment einer Überarbeitung des ausgehenden 12. Jahrhundert aus dem Besitz des Philologen und Handschriftensammlers Marvin L. Colker in Charlottesville/USA. Marvin L. Colker starb 93-jährig im März 2020. Im Herbst 2022 erhielten die Vereinigten Domstifter von Herrn Thomas Taugnitz/Leuna den Hinweis, dass die Sammlung Colkers im Londoner Auktionshaus Christie`s versteigert werden soll. Innerhalb kürzester Zeit konnte dank der generösen Zusagen der Kulturstiftung der Länder, des Landes Sachsen-Anhalt sowie privater Spender ein finanzieller Rahmen für die Ersteigerung des Fragments geschaffen werden. So war es möglich, am 12. Dezember 2022 bei der Online-Auktion den Zuschlag zu erhalten und das Thietmar-Fragment für die Merseburger Domstiftsbibliothek zu sichern. Für insgesamt 7560 Britische Pfund (rund 8600 EUR) konnte das einseitige Fragment ersteigert werden.“
Die im Fragment festgehaltenen Textabschnitte halten bedeutsame Ereignisse fest: Thietmar berichtet über den König der Russen, Wladimir I., der sich taufen ließ und damit die russisch-orthodoxe Kirche begründete. Ferner schildert Thietmar rückblickend die Namengebung für Frankfurt am Main, wo ein fränkisches Heer unter Pippin, dem Sohn Karls des Großen, dank einer Hirschkuh eine Furt fand. Schließlich enthält das Fragment einen Bericht über die Anfänge des Klosters Corvey, die sich als Zusatz dieser geistlichen Gemeinschaft herausgestellt haben.
Mit der Ersteigerung gibt es nun endlich ein mittelalterliches Textzeugnis der bedeutenden Thietmar-Chronik in Merseburg und damit im Bundesland Sachsen-Anhalt.
Für Besucher wird das Fragment erstmals während der Ausstellung: „Otto der Große, der Heilige Laurentius und die Gründung des Bistums Merseburg – Spurensuche im Merseburger Kaiserdom“ vom 18. Mai – 5. November 2023 im Merseburger Dom zu sehen sein.
Hintergrundinformationen
Die Chronik des Merseburger Bischofs Thietmar ist die bedeutendste erzählende Quelle zur Geschichte der Ottonenzeit. Von 1012 bis 1018 niedergeschrieben, sollte die Chronik zunächst eine Geschichte des Bistums Merseburg darstellen, um dessen einstigen Glanz zu verdeutlichen. Angesichts der Stellung Merseburg als Königspfalz, Ort wichtiger Hoftage und Bistumsgründung Ottos I. wuchs sich die Darstellung Thietmars jedoch zu einer Geschichte der ottonischen Herrscher und des Reiches in seinen vielfältigen europäischen Bezügen aus. Insgesamt verfasste Thietmar acht Bücher, die zunächst den Regierungszeiten der ottonischen Könige entsprechen, um dann auf wichtige Ereignisse der Merseburger Geschichte in der Zeit Heinrichs II. Bezug zu nehmen. Stets hielt Thietmar, auf Quellen wie der Sachsengeschichte Widukinds von Corvey und den Quedlinburger Annalen sowie eigenem Gehörten und Erlebten fußend, die politische Geschichte Europas fest. Dies tat er, um Merseburgs Rolle, so bei der Gründung des Erzbistums Magdeburg, zu veranschaulichen.
Besonders lebhaft werden die Schilderungen für die Zeiten, die Thietmar selbst erlebt hatte, so wenn er mit Heinrich II. in die Schlacht zog oder in Merseburg Hoftage mitgestaltete. Immer wieder verwies er auf die alten Rechte des Bistums und flocht alte Schenkungen an die Kirche ein, um seine Ansprüche während seines Episkopats gegenüber dem König durchzusetzen. So entstand eine mit Eifer geschriebene Chronik, die einen wichtigen Einblick in die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der Ottonenzeit erlaubt. Ohne die Chronik Thietmars von Merseburg wüssten wir sehr viel weniger über das ottonische Zeitalter. Bereits im Mittelalter ist die Chronik mehrfach benutzt und auch überarbeitet worden. Mit dem 16. Jahrhundert setzte die Edition und kritische Durchsicht der Quelle ein, die bis heute andauert. Immer wieder bildet die Chronik die Grundlage für Jubiläen, denn rund 50 Orte verdanken ihr die Ersterwähnung.
Das neu erworbene Fragment aus der Sammlung Colker enthält auf Vorder- und Rückseite eines beschnittenen Blattes Text aus Buch VII, Kapitel 71-75. Am oberen Rand sind durch das Zuschneiden vier Zeilen des doppelspaltigen Textes verloren gegangen. Außerdem gibt es Textverluste durch Rasur, die für das Aufbringen eines Rückentitels vorgenommen wurden. Das Fragment ist nämlich zerschnitten worden und diente als Einband für eine Ausgabe des Werkes „De ortu animae“ des Martin Ruland. Das Buch wurde erstmals 1591 gedruckt, die Bindung dürfte also im 17. Jahrhundert erfolgt sein.
Die im Fragment festgehaltenen Textabschnitte aus Kapitel 7 der Chronik halten bedeutsame Ereignisse fest, die Thietmar zu großen Teilen nachschob. Er berichtet über den König der Russen, Wladimir I., der sich taufen ließ und damit die russisch-orthodoxe Kirche begründete. Hart klagt Thietmar über dessen Verfehlungen, berichtet über dessen Braut Helena, einer Tochter des byzantinischen Kaisers. Wladimir I. wurde in Kiew beigesetzt, in einem Sarg mitten in einer Kirche.
Ferner schildert Thietmar rückblickend die Namengebung für Frankfurt am Main, wo ein fränkisches Heer unter Pippin, dem Sohn Karls des Großen, dank einer Hirschkuh eine Furt fand. Schließlich enthält das Fragment einen Bericht über die Anfänge des Klosters Corvey, die sich als Zusatz dieser geistlichen Gemeinschaft herausgestellt haben.